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Tango Kolumne
Barfuß oder Glitzerschuh

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: TEIL 5 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tangokolumne Barfus oder Glitzerschuhe von Lea Martin

Das erste, was mir am Tango gefiel, waren die Schuhe. Glitzernde, hochhackige, paillettenbesetzte Schuhe. Solche Schuhe wollte ich auch.

 

Bereits im Schnupperkurs dann die herbe Lektion: Zum Üben eignen sich Trainingsschuhe. Nicht so hoch, aber bequem. Nicht so hübsch, dafür bezahlbar. Neidisch blickte ich bei Milongas auf die glitzernden Schuhe ringsum, die so wunderbar durch die Luft flogen, und traurig auf meine eigenen, die wie die Schuhe von Aschenputtel aussahen. Mein erster Tanzpartner hielt zum Glück sowieso nichts von Äußerlichkeiten. Mode-Schnickschnack brauchte er nicht, er stand auf Tango pur, ohne – wie er es nannte – Verkleidung.

 

Tatsächlich scheint es in der Tango Community zwei Fraktionen zu geben: die Puristen, die (fast) barfuß tanzen, also allenfalls mit hauchdünnen, strumpfartigen Schuhen, und die Glamourpaare, bei denen die Herren jeden Abend ein anderes Paar handgefertigter Tangoschuhe aus dem Beutel zaubern und die Damen in verführerischen Kleidern ihre Schönheit betonen. Und dann, natürlich, gibt es die Kritiker. Die am Rand sitzen und das ganze Geschehen kommentieren. Diese Kommentatoren haben ein umfassendes Wissen, sie kennen jede Location und jede Melodie, sie haben Bücher über die verschiedenen Theorien zur Entstehung des Tangos und seine Geschichte studiert, kennen die Philosophie jeder Unterrichtsmethode, haben mit jeder Schule Erfahrung. Sie sind

Universalgenies, die mit einer gewissen Müdigkeit dem bunten Treiben der Anfänger beiwohnen, die sich so naiv in ein Gewässer stürzen, das am Ende – sie haben das längst durchschaut – ähnlich enttäuschend ist wie das Leben… und die Liebe. Ach ja, die Liebe.

 

Sie winkt aus Glitzerschuhen ebenso wie mit nackten Füße. Tango ist ein durch und durch verführerischer Tanz. Er verführt zur Liebe... zur körperlichen Liebe – und sei es für eine Stunde, für eine Nacht. Und er verführt zum Leben. Ob die Magie des Tangos sich nachweislich der Herkunft aus argentinischen Hafenkneipen verdankt, wo Prostituierte ihn nutzten, um Freier zu werben, mag umstritten sein. Unstrittig ist, dass er eine Leidenschaft weckt (oder zumindest verstärkt), die über das Tanzen hinausgeht. Tango berührt die Seele wie ein Instrument, das weitergespielt werden will, und seine Melodie schwingt in allen nach, die ihn tanzen: ob barfuß oder in Glitzerschuhen.

 


"Barfuß oder Glitzerschuhe" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2015

 

Foto: Reinhard Engelke

 

 

 

 

 

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