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Tango Kolumne
Tango Dreams

 

EINBLICKE IN DIE TANZSZENE: TEIL 1 DER REIHE VON LEA MARTIN

Schon immer will ich tanzen. Jetzt ist es soweit. Heute, 15 Uhr, treffe ich meinen potentiellen Premieren-Tango-Tanzpartner. Noch weiß ich nicht wirklich, was sich hinter einer Milonga verbirgt. Doch als Caro Emerald mit süßem Schwangerenbauch an Silvester vor dem Brandenburger Tor Tangeld up singt, wippt mein Fuß, in einen Sessel gekuschelt, schon aufgeregt mit.

 

Ein Traum geht um, nicht nur in Berlin. Hier ist die Infektionsrate allerdings besonders hoch. Täglich werden quer durch die Stadt, in nahezu allen Bezirken Tango-Events angeboten, oft bis spät in die Nacht. Ocho. Practica. Boleo. Worte aus einer fremden Welt, die sich wie ein Wunderland öffnet. Glitzernde Schuhe, geschlitzte Röcke, eng verschmolzene Paare. Und dazu Melodien, die das Baustellenland Berlin in glühendes Abendrot tauchen. Die einen erfasst das Fieber schleichend, die anderen schlagartig. Aus einer vagen Idee wird ein Vorsatz –und schwupps, findet man (und frau) sich im ersten Kurs.

 

Nach der Arbeit bummele ich zum Mava Lóu, einer kleinen Kreuzberger Tango-Boutique mit original argentinischen Schuhen, teuer und schön. Ich streiche über verspielte Stoffe, atme den Flair einer Welt, die ich mir verboten hatte, solange ich dachte, Tanzen (zumal Tango) gehe nur mit Partner. Dabei ist Berlin nicht nur die Stadt der Singles und alleinerziehenden Mütter, sondern zugleich die der deutschen Version des argentinischen Tango.

 

Ehemalige Fabrikräume in Hinterhöfen werden von musikgewordener Sehnsucht durchflutet und auf dem Parkett beginnt zwischen Kerzen und ausrangierten Sofas ein Dialog, der (wie eine stille, sinnliche Revolution) die Werte des Internet-Zeitalters unterwandert. Virtualität? Cyberspace? Tango will, dass wir fühlen. Mit unseren Sinnen, unserem Körper. Das analytische Denkvermögen hat Pause. Wir tanzen, was wir hören. Und wenn wir nicht hören, müssen wir üben. Zu hören. Aufmerksam zu sein. Für die Musik. Und für unseren Partner, die Partnerin. Was sagt uns der Körper des anderen? Wo will er hin? Welche Möglichkeiten lassen sich gemeinsam entdecken? Und wo sind unsere Grenzen?

 

Tango Dreams, aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte bei Lea Martin, Berlin 2015

 

 

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