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Logbuch: Tangostudio el abrazo

Tanz in die Zukunft: Teil 1


In unserer Reihe "Tanz in die Zukunft" stellen wir Tango-Professionals und ihre Pläne für die Zukunft vor. Wie sind sie durch die Krise gekommen? Was planen sie für den Re-Start und die Zeit danach? Oliver Quick berichtet über das Tangostudio el abrazo in Hamburg:


Tangostudio el abrazo in Hamburg


„Mitten im Schweren sollen wir unsere Freuden haben, unser Glück, unsere Träume; da, vor der Tiefe dieses Hintergrunds, heben sie sich ab, da sehen wir erst, wie schön sie sind. Und nur im Dunkel der Schwere hat unser kostbares Lächeln einen Sinn; da leuchtet es erst mit seinem tiefen, träumenden Licht, und in der Helligkeit, die es für einen Augenblick verbreitet, sehen wir die Wunder und Schätze, von denen wir umgeben sind.“ Rainer Maria Rilke, Briefe

Eine optimistische Geschichte…

Der Anfang ist schwierig

Als Anfang März die Bilder aus Bergamo durch die Presse gingen war uns klar, dass sich unsere Tangowelt auf den Kopf stellen würde. Nach reiflicher Überlegung, eingehendem Studium der Entwicklung in Europa und in Deutschland und einer schlaflosen Nacht, entschieden wir uns bereits am 10. März alle unsere sehr gut besuchten Milongas vorsorglich abzusagen. Wir wollten unseren Teil dazu beitragen die Welle flach zu halten.

Als am 17. März der offizielle Lockdown kam, waren wir bereits vom Schock in die Aktivität gewechselt.

Innerhalb kürzester Zeit begannen wir aufwendige Unterrichtsvideos für unsere Schüler*innen zu produzieren und bereits am 17. März konnten wir die erste Online-Milonga streamen.

Während wir in den ersten 8 Wochen aufwendig Offline-Videos für die Schüler produzierten, entschieden wir uns bald auf Live-Unterricht per ZOOM umzusteigen und aus den Mitschnitten des ZOOM-Unterrichts dann Videos für diejenigen zu schneiden, die am Live-Unterricht nicht teilnehmen konnten.

Das Arbeiten für die Kamera war dabei am Anfang schwieriger aber auch interessanter als erwartet. Alteingesessen Unterrichtsmethoden wurden durch das Medium plötzlich in Frage gestellt. Wie können Schüler*innen Bewegungen und Konzepte sinnvoll vom Bildschirm abnehmen? Wie muss das Material angepasst werden, damit es zwischen Sofa, Couchtisch und Fernseher möglichst ohne größeren Frust und Unfälle geübt werden kann?

Wie hält man Tangolernende auch in ihren Momenten des Scheiterns über Video/Zoom bei Laune – wenn es mit dem Schritt nicht klappt – wenn’s mit dem/der Partner*in hakt?


Hinzu kommen all die technischen Herausforderungen: Computertechnik, Software, Videotechnik, Kamera, Schnittsoftware, Streaming. Und das nicht nur auf unserer Seite, sondern vor allem auch bei den Schüler*innen: „Klaus, wir können Dich nicht hören, Dein Mikro ist noch aus…“

Arbeitstechnisch waren vor allem die ersten Wochen viel mehr Arbeit als gewohnt. So viel Neues, Unbekanntes, Unerwartetes…

Und dann gar nicht nebenbei noch die Frage: „Wie geht es wirtschaftlich weiter?“ Riesige Umsatzeinbußen. Mit einem großen Studio monatliche Verbindlichkeiten im hohen vierstelligen Bereich. Zwei Kinder in Ausbildung,…

…und keiner weiß, wie’s weiter geht, alle fahren auf Sicht.


Tangostudio el abrazo in Hamburg

Die Situation scheint düsterer zu werden…


Und je länger die Zeit voranschreitet, desto düsterer und aussichtsloser scheint die Situation zu werden. Wann wird man wieder Tango tanzen können? Wird man als Studio so lange überleben? Werden sich die Menschen dann noch/wieder in volle Tanzsäle wagen?

Ich betrachte mit wachsender Sorge die unglaubliche Polarisierung in der Diskussion um diese schwierige Situation, auch in der Tanzszene. Menschen, die früher Körper an Körper getanzt haben, entfremden und „entfreunden“ sich plötzlich in Diskussionen über Masken, Testverfahren, Grundrechtseinschränkungen und Impfungen.


„…die Wunder und Schätze, von denen wir umgeben sind.“


Und doch bleiben mir aus 2020 vor allem die hellen Momente im Gedächtnis:


95% unserer monatlichen Schüler*innen bleiben uns treu. Seit nunmehr 10 Monaten genießen sie statt Live-Unterricht im Studio, Zoom-Unterricht in ihrem Wohnzimmer oder Videoaufzeichnungen, oder sie unterstützen uns einfach aus Solidarität. Sie tanzen lachend in ihren Wohnzimmern und so mancher tanzt und übt mehr als in Nicht-Corona-Zeiten.


Wir erleben eine überwältigende Welle an Wertschätzung und Unterstützung. Die Menschen nehmen Anteil, spenden ihre Milonga-Eintritte, häufig sogar ein Vielfaches davon. Sie besuchen unsere Online-Milongas.


Es bildet sich eine Fundraising-Initiative, die Menschen aus der ganzen Welt anspricht, die auf Encuentros und Marathons in unserem schönen Raum schon getanzt haben. Es werden Spendengelder von überall her eingeworben.


Wir erhalten staatliche Unterstützung.


Wir erleben so viele lustige, berührende, verbindende, herzöffnende Momente in Online-Unterrichten.

Es entsteht trotz Lockdown, trotz Abstandsgebot so viel Verbindung:


Die Hamburger Tangoschaffenden raufen sich zusammen und produzieren im April nicht nur ein gemeinsames Video sondern treffen sich seitdem monatlich – manchmal sogar mehrmals im Monat – in gemeinsamen Zoom-Konferenzen. Wir besprechen und beraten Verordnungen, Hygienekonzepte und Fördermaßnahmen; organisieren Aktionen und treffen uns mit Politiker*innen. Eine Verbundenheit, die es vorher nicht gab.


Auch deutschlandweit entsteht – dank Corona – eine Verbundenheit in unzähligen Zoom-Konferenzen, die sich nun in der Gründung einer gemeinsamen Interessenvertretung ausdrückt.


Alles in Allem sind dies „Wunder und Schätze“ die gerade mitten in dieser Schwere sichtbar werden.


Das Tangostudio el abrazo in Hamburg

Unsere Pläne für 2021?


Die Gesamtsituation wird sich wohl nicht so schnell verändern.

Wir wollen uns in dieser Zeit vor allem auf diese verbindenden und fruchtbaren Kräfte konzentrieren.


Wir stecken unsere Energie und unseren Enthusiasmus in Angebote, mit denen wir mit den Menschen aus unserer Community in Verbindung bleiben können. Angebote, die sie für eine Stunde Online-Technik-Training, Online-Unterricht oder eine Online-Milonga aus ihrem Homeoffice-Sessel hochreißen und in der sie die schwierige Situation für eine Stunde vergessen können.


Wir engagieren uns mit den Hamburger Tangoschaffenden und in dem deutschlandweiten Interessenverband für Tango Argentino Profis, denn wir glauben der Weg durch und aus dieser Krise liegt im Miteinander.


Deswegen, lasst uns nicht aufhören zu tanzen…


Oliver Quick | Tangostudio el abrazo Tango in Hamburg


Foto Leuchtschrift: BaserSengbusch

Weitere Fotos: Oliver Quick

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