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Reisebericht: Buenos Aires nach der Pandemie - Teil 3

„It’s the economy – stupid!‘” – Über die wirtschaftliche Lage und den Umgang mit Geld in Buenos Aires.




Wer dieser Tage nach Argentinien reist, mag sich erinnert fühlen an frühere Reisen nach Italien, vor der Einführung des Euro, als man im Hinblick auf die Wechselkurse D-Mark zu Lira unweigerlich in einer anderen Dimension landete: von Zahlen in der Zehner- oder Hunderter- Dimension war man sofort bei Tausenden oder Zehntausenden von Lira und musste immer fieberhaft rechnen, bis man sich daran gewöhnt hatte... So ist es nun auch in Argentinien, das in den letzten Jahren eine horrende Inflation erlebt, die sich seit Ausbruch der Pandemie enorm beschleunigt hat. Aktuell liegt der (internationale) Umtauschkurs bei 1 Euro = ca. 240 Pesos, das heißt für einen Tausch von 100 Euro bekommt man mal eben 24.000 Pesos, und wenn ein café con leche (Milchkaffee) 320 Pesos kostet, so sind das eben nur 1,35 Euro.

Nur zur Erinnerung: In den 1990er Jahren bis zum Staatsbankrott 2001 war der Wechselkurs des Peso zum Dollar 1:1, seit ich regelmäßig nach Buenos Aires reise (seit 2010) ist der Kurs kontinuierlich gefallen; im Jahr 2010 lag er immerhin noch bei 1 Euro = 5 Pesos. Als ich das letzte Mal hier war, vor zwei Jahren (bis zum Ausbruch der Pandemie und dem langen shut- down hier), lag der Kurs noch im Januar 2020 bei 1:75 und am Ende im März 2020 bei ca. 1:85 – die Entwertung des Peso hat sich also seitdem verdreifacht, mit dramatischen Folgen für die Argentinier und – ungerechterweise – unglaublichen Vorteilen für alle, die (wie wir) über ‚harte Währungen‘ wie Dollar oder Euros verfügen. Das Leben war für uns Europäer schon 2020 unglaublich billig hier und ist nun noch viel günstiger geworden: Ein Kilo Rumpsteak oder gar bestes Rinderfilet (Lomo) kostet ca. 5 Euro, ein großes Hähnchen-Brustfilet kaum mehr als einen Euro, eine Tüte voll Obst und Gemüse um die 5 Euro, eine Flasche Malbec-Rotwein zwischen 1,50 und 3 Euro (das sind dann schon die guten Weine, die bei uns zwischen 7 und 10 Euro kosten), der Eintritt in die Milongas 500 Pesos (ca. 2 Euro), eine Taxifahrt vom Zentrum nach Palermo (6 bis 8 km) 650 - 700 Pesos, also weniger als 3 Euro, ebenso der Aperol Sprizz in der eher teuren ‚Bar Notable‘ Montecarlo im teuren Viertel Palermo Hollywood um die Ecke bei mir …


Die Kehrseite ist aber, dass Gehälter und Pensionen / Renten mit der Inflation nicht Schritt halten und die Argentinier de facto verarmen, sofern sie nicht Einkünfte in Devisen haben. Das Durchschnittsgehalt eines (ausgebildeten oder akademischen) Arbeiters oder Angestellten liegt zwischen 400 und 800 Dollar im Monat, viele haben aber noch weniger zur Verfügung zum Leben, und Taxifahrer müssen 12 bis 14 Stunden am Tag arbeiten, manchmal auch länger, um ihre Familie ernähren zu können …


Ein Freund, ehemaliger Ingenieur bei der argentinischen Luftwaffe und der beste ‚asador‘ (Grillmeister), den ich kenne, erzählte mir, dass viele Argentinier sich kein Fleisch mehr leisten könnten: Die berühmten ‚asados‘ – einer der Inbegriffe argentinischer Lebensart – fänden praktisch nicht mehr statt, oder nur noch zu seltenen festlichen Anlässen (oder wenn, wie ich es natürlich handhaben werde, eine ‚reiche‘ Ausländerin das Fleisch sponsert: Ein echt argentinisches asado mit viel Fleisch und viel Rotwein haben wir jetzt mit diesem Freund für kommenden Dienstag geplant :-).

Und das ist der andere Teil des Dramas für die Argentinier: Die Touristen, die die begehrten Devisen ins Land bringen, sind ja fast zwei Jahre ferngeblieben, da Argentinien die Grenzen geschlossen hatte: Die Stadt und die Milongas waren „abandonados“ (verlassen), wie ein befreundeter Milonga-Veranstalter beklagte, und damit blieben die Einkünfte aus den Geldbörsen großzügiger Tourist*innen aus.


Aber auch umgekehrt, aus der Perspektive der Touristen, ist die Reise nach Argentinien in pekuniärer Hinsicht eine Herausforderung: Denn unsere Routinen im Umgang mit Geld funktionieren hier nicht. Da Argentinien seit dem Staatsbankrott von 2001 und der nachfolgenden Weigerung oder Unmöglichkeit die internationalen Schulden zu tilgen vom internationalen Zahlungsverkehr abgekoppelt ist, kann man hier nicht mal eben zur Bank gehen und ‚Geld ziehen‘ – oder anders: theoretisch könnte man schon, aber das empfiehlt sich gar nicht ... (siehe unten). Seit einigen Jahren gestaltet sich für mich darum jede Reise nach Buenos Aires so, dass ich mein kalkuliertes Reisebudget in bar mitnehme und hier zum jeweils aktuellen Kurs in Pesos umtausche.

So war es also auch diesmal, als ich am 9. Februar in Buenos Aires ankam. Die erste Herausforderung besteht darin, etliche Tausend Euro erstmal sicher mitzuführen (am besten natürlich direkt am Körper) und sicher in die Unterkunft in der Stadt zu bringen. Ich wäre ja nicht die erste Touristin, die direkt am Flughafen ausgeraubt wird oder von dubiosen Taxifahrern um einige Güter erleichtert wird. Man sollte sich also auf keinen Fall von Taxifahrern ansprechen lassen, sondern zu den seriösen Anbietern gehen, die es am Flughafen gibt, oder sich abholen lassen von Freunden oder offiziell Geschickten, wie ich es seit Jahren mache. Und da ich in meinen ersten Jahren in Buenos Aires zweimal überfallen und ausgeraubt wurde, bin ich ein ‚gebranntes Kind‘ und gebe gleich noch eine wichtige Verhaltensregel weiter, auf die wir Europäer meist nicht so vorbereitet sind: Niemals einen Rucksack oder eine Tasche auf dem Rücken tragen, immer vor dem Bauch oder an der Seite und mit dem Arm fest umschlossen. Bei Handtaschen in dichtgedrängtem Verkehr (in U-Bahn, Bussen etc.) darauf achten, dass der Reißverschluss vorn im eigenen Körperbereich ist, die Taschendiebe sind hier ausgesprochen geschickt! Und niemals im Café seine Handtasche achtlos über die Stuhllehne hängen oder sein Handy auf dem Cafétisch an der Straße liegen lassen, das kann dann sehr schnell weg sein ... Nun gut, von diesem kleinen Exkurs zurück zum Thema.



Das Leben für Europäer in Argentinien ist günstiger geworden
Buenos Aires: Weinregal im Supermarkt

Die zweite Herausforderung besteht dann darin, am Ankunftstag oder am Tag danach Geld zu wechseln, Bargeld (Euros oder Dollars) umtauschen in Pesos, in einer dieser halblegalen Wechselstuben auf der Avenida Corrientes (auf Höhe der Calle Florida, der vornehmen Einkaufsmeile von BA bzw. an der Ecke zur Calle St. Martín), die in ihren Schaufenstern Uhren oder Schmuck anbieten oder damit werben, dass sie Gold ankaufen, aber in den Hinterzimmern für die begehrten Devisen den internationalen Wechselkurs in Pesos bezahlen, über den man sich auf dieser Webseite informieren kann, während die Banken den regierungsamtlichen Kurs bei allen Geldoperationen zugrunde legen, und der liegt aktuell etwa 50 % unter diesem Weltmarkt-Kurs. Mit anderen Worten: Wer hier mit seiner Kreditkarte Einkäufe in Pesos bezahlt oder Bargeld ziehen will – was nur in niedrigen Beträgen und mit hohen Gebühren möglich ist –, der bekommt nur halb so viel für seine Euros oder Dollars wie in der Wechselstube. (Das gilt natürlich dann nicht, wenn man – z.B. für die Buchung einer Wohnung oder einer Reise – ohnehin in Dollar oder Euro zahlen muss...)

Also heißt es wohl oder übel, das gesamte Budget für eine Reise nach Argentinien in bar mitzunehmen, denn es gibt hier praktisch keine Möglichkeiten an ‚Devisen‘ zu kommen. Auch Argentinier, die Dollar oder Euro ‚auf der hohen Kante‘ haben, unterliegen strengen Restriktionen und dürfen nur einen Minimalbetrag pro Monat (200 Dollar?) von ihrem Konto abheben (und dafür müssen sie u.U. noch Steuern zahlen). Es ist darum auch nicht möglich, selbst wenn man wie ich gute Freunde im Land hat, diesen aus Europa Bargeld zu überweisen, das sie hier für einen abheben könnten: Devisen bekommen sie nicht, und den Betrag in Pesos abzuheben hieße, nur die Hälfte seines realen Wertes zu erhalten, und selbst das scheint nicht möglich zu sein, weil sie alle Einkünfte in Devisen versteuern müssen. (Die Gründe für diese desolate Lage will und kann ich hier nicht vertiefen, denn ich bin keine Ökonomin, sie haben aber damit zu tun, dass Argentinien vom internationalen Zahlungsverkehr abgekoppelt ist.) Die Folge dieser Situation ist, dass ich schon seit Jahren jeweils mit einigen Tausend Euro im Gepäck reise und froh bin, wenn ich das Geld heil an seinen Bestimmungsort gebracht und dort im Safe verstaut habe. Inzwischen passiert es mir aber regelmäßig, dass ich zusätzlich von Freunden oder Bekannten gebeten werde, Bargeld nach Buenos Aires mitzunehmen, als Geldkurier sozusagen. Das Limit für die Einfuhr von Bargeld nach Argentinien sind 10.000 Dollar pro Person, also ca. 8.900 Euro – diesmal hatte ich fast 5000 Euro für andere Menschen im Reisegepäck ... keine wirklich angenehme Fracht, siehe oben.



Café in Buenos Aires: Pause vom Tango
Christine Garbe mit Joanna und Stephan aus Berlin

Okay, nun also zum zweiten Akt, dem Umtausch in der Wechselstube. Für die Fahrt dorthin ist nicht unbedingt das Taxi das sicherste Verkehrsmittel, zumindest nicht für die Rückfahrt: Man könnte beobachtet worden sein beim Betreten der Wechselstube, und der Taxifahrer könnte mit den Geldwechslern unter einer Decke stecken ... Einmal war ich mit einem argentinischen Freund am Wochenende unterwegs und musste Geld wechseln, am Samstag hatten die Wechselstuben aber geschlossen, also blieb uns nichts anderes übrig, als auf der Calle Florida bei einem der Straßenhändler zu wechseln, die dort jeden Touristen ansprechen: Cambio? Cambio? Ich mache das gewöhnlich nie, ist mir viel zu suspekt, aber diesmal und mit Begleitung habe ich es gemacht, der Wechsel verlief reibungslos, und als ich für den Rückweg ein Taxi besteigen wollte, wurde mein Begleiter furchtbar nervös und drang darauf, erst ein Stück zu laufen und dann ein Taxi anzuhalten. Auf mein erstauntes Nachfragen hin erklärte er mir, er kenne Fälle, in denen Leute, die auf der Florida gewechselt hatten, im Taxi gleich darauf ausgeraubt worden waren: die (kleinkriminellen) sogenannten ‚Taxifahrer‘ waren informiert worden. Ich ziehe es darum vor, mit der Subte (der U-Bahn) zur Wechselstube zu fahren, aber es ist jedesmal ein etwas nervenzehrendes Unternehmen, ich trage das Geld am Körper unter einem weiten Hemd und bin auf der Hin- und Rückfahrt angespannt und wachsam, nehme mir auch nichts anderes vor als das Geldwechseln, obwohl doch ein Bummel auf der luxuriösen Einkaufsmeile Florida oder sonst im Zentrum verlockend wäre ... und bin erleichtert, wenn ich das Geld sicher nach Hause gebracht habe.

Diesmal habe ich hier von Freunden erfahren, dass es inzwischen noch eine andere Möglichkeit gibt, Geld hierher zu transferieren, ohne dafür – wie früher – horrende Gebühren zu zahlen: Western Union macht es möglich, man kann vom eigenen Konto einen beliebigen Betrag nach Argentinien transferieren, der dann allerdings in Pesos ausbezahlt wird, aber zum internationalen, nicht zum regierungsamtlichen Kurs. Ein Transfer von 1000 Euro z.B. kostet aktuell nur 4,90 Euro Gebühren, das klingt also recht vernünftig und scheint auch reibungslos zu funktionieren, wie mir Freunde versichern. Ich selbst habe es noch nicht ausprobiert, aber es ist beruhigend, diese Möglichkeit zu wissen, sollte das eingeführte Bargeld einmal nicht ausreichen.

In diesem Urlaub scheint es aber eher andersherum zu sein und ich werde kaum alles Geld brauchen, was ich mitgebracht habe. Eine Zwischenbilanz nach den ersten zehn Tagen ergab, dass ich umgerechnet im Durchschnitt 30 Euro pro Tag ausgebe – darin enthalten: eine gute Mittagsmahlzeit im Restaurant (über das Essen hier in Buenos Aires demnächst mehr), Taxifahrten zu der Milonga am Abend, Eintritt und Getränke in der Milonga sowie Lebensmittel für den täglichen Bedarf. Das Leben ist für uns Europäer aktuell so günstig wie nie zuvor ...



Text: Christine Garbe

(Bericht von Ihrer Reise nach Buenos Aires im Februar/März 2022)


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