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Was vom Tango übrig bleibt

Ein Rück- und Ausblick:

Wie sieht die Tangoszene nach dem Re-Start aus?


Artikel Was vom Tango übrig bleibt - wie sieht die Tangoszene nach dem Re-Start aus?


An 2020 werden wir uns noch lange zurückerinnern. Es war ein Jahr, das gewachsene Gesetzmäßigkeiten in vielen Bereichen auf den Kopf stellte. Vor allem den Kulturbereich, zu dem der Tango gehört, hat es schwer getroffen. Im März mussten Tangostudios und Milongas von heute auf morgen schließen. Der erste Lockdown flog der Szene um die Ohren. Plötzlich war nichts mehr so, wie wir es gewohnt waren. Und wir alle wissen, wie schwer es ist, liebgewonnene Gewohnheiten aufzugeben. Egal, ob diese Gewohnheiten einen Sinn ergeben - oder nicht.

Tangotanzen macht Sinn! Der Tango gehört für uns zu den Gewohnheiten, die in der Gewohnheitsschleife* gewissermaßen die Belohnung darstellen. Im März 2020 war die Aussicht auf Belohnung nach einem Arbeitstag oder einer Arbeitswoche auf einmal in Frage gestellt. Was anfangen mit den einsamen Abenden und den Wochenenden? Die Tanzschuhe lagen jetzt unangetastet in der Ecke. Ein trauriger Anblick. Vor allem für die Singles unter uns.

Von jetzt auf gleich sahen sich viele einem Großteil ihrer sozialen Kontakte beraubt. Schwer zu ertragen! Die Tangoprofis hatten von heute auf morgen keine Einnahmen. Ein Desaster!

Anfangs ging die Szene davon aus, dass der erste Lockdown zwei oder drei Wochen dauern würde. Danach wollte man zur gewohnten Tagesordnung übergehen.

Das Virus jedoch hatte andere Pläne. Vor allem der Kulturbereich musste weiterhin mit einschneidenden Einschränkungen leben, die im Sommer etwas aufgeweicht wurden: Immerhin konnten Tangokurse und Mini-Milongas unter Corona-Auflagen durchgeführt werden. Sogar ein paar Tangoreisen fanden statt - und Open Air-Milongas ermöglichten zumindest eine gefühlte Rückkehr zur Normalität, die sich als trügerisch herausstellen sollte. Die Verbreitung des Virus und die Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten gerieten außer Kontrolle. Im November ging es in den zweiten „Teil-Lockdown“. Spätestens jetzt entbrannte auch in der Tangoszene die Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der von der Politik beschlossenen Maßnahmen, über die wir hier bei uns im Blog bereits ausführlich berichtet haben. Die Trennlinie zwischen Meinung und Stimmungsmache ließ und läßt sich dabei nicht immer ganz scharf ziehen.

Dem Jahr 2020 wird kaum jemand nachtrauern. Einige Tangoprofis hielten sich mit Spenden aus der Szene sowie den Soforthilfeprogrammen des Bundes und der Länder über Wasser. Andere hatten als Solo-Selbstständige keinen Zugang zu den Soforthilfen, da diese an Betriebskosten gekoppelt waren und nicht für den Lebensunterhalt verwendet werden durften. Und nach wie vor gibt es keine Planungssicherheit. Vielen Tango-Kulturschaffenden steht das Wasser bis zum Hals.

Die neue Situation zwingt zu Veränderungen. Darunter auch solche, die sich am Ende als positiv herausstellen. Eine neue Kreativität war und ist angesagt. So rückten viele Tango-Professionals enger zusammen, um gemeinsam die Krise zu überstehen. Im März haben wir in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Tangodanza die Facebook-Gruppe „Tango Community Netzwerk“ ins Leben gerufen. Aus der bundesweiten Gruppe und unzähligen Zoom-Meetings heraus wurde die Petition „Weltkulturerbe Tango Argentino in Deutschland retten“ auf den Weg gebracht. Begleitend dazu fand am 03. Juni der bundesweite Aktionstag statt, der medial große Aufmerksamkeit für die Tangokultur erzielen konnte. Als finaler Schritt folgt Anfang 2021 die Vereinsgründung von „proTANGO - Bundesweite Interessenvertretung der Tango Argentino Professionals e.V.“. Die professionelle Szene arbeitet an ihrer Zukunft und daran, der Tangokultur weiterhin eine Plattform bieten zu können.

Auch die digitalen Angebote der Tangostudios und Milonga-Veranstalter sind ein Ergebnis der Pandemie. Zwar werden Online-Kurse und virtuelle Milongas nicht das analoge Eventereignis ersetzen, ergänzend erreichen diese neuen Formate jedoch Tangueros und Tangueras an jedem beliebigen Ort auf der Welt. Tangokonzerte sind prädestiniert dafür, live übertragen zu werden - und damit ein größeres Publikum zu erreichen. In dieser Grenzenlosigkeit kann ein gewisser Reiz liegen. Man trifft sich virtuell - um sich später bei Gelegenheit physisch zu treffen und kennenzulernen. Nie war das so einfach, wie heute.

Auch im privaten Rahmen ergaben sich 2020 neue Möglichkeiten. Man traf sich vermehrt zu Privat-Milongas. Das Private wurde noch privater. Einladungen erfolgten im direkten Umfeld und/oder über private Chatgruppen. Viele lernten einander noch besser kennen. Und auch hier mußten die Grenzen immer wieder neu definiert werden: Werden die Corona-Auflagen eingehalten - oder nicht? Was ist verantwortbar? Und was nicht?

Meinungen prallten aufeinander. In einem waren und sind sich jedoch alle einig: Das Virus nervt!


Ende 2020 war ein Impfstoff gefunden. Ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft - aber noch keine Erlösung. 2021 wird das Jahr der Neuanfänge. Beim Tango wird es, je nach weiterer Entwicklung der Pandemie, den Schritt in eine neue Zukunft geben. Die Planungen für den Re-Start laufen. Es wird Vertrautes geben, das bleibt - aber auch Vertrautes, das verschwinden wird - oder bereits verschwunden ist.


Wie wird es sein, wenn die ersten Lockerungen in Kraft treten und Tangostudios und Milongas Schritt für Schritt wieder öffnen dürfen? Wird es die Lieblingsmilonga weiterhin geben - oder entstehen aus dem Wandel heraus neue spannende Tangoorte? Wird es Sonderrechte für Geimpfte geben, die dann vorzugsweise eine Milonga besuchen dürfen? Gehört der Impfausweis dann zum Repertoire wie die Tanzschuhe? Reicht ein Schnelltest aus, den man am Einlass erhält? Wäre das Tanzen mit Maske ein notwendiges Übel? Wie gehen Veranstalter mit ihrem Hausrecht um, wenn sie auf Unverständnis stoßen? Wie gehe ich mit anderen Tänzern und Tänzerinnen um, von denen ich weiß, dass sie eine aus meiner Sicht radikale Meinung vertreten - oder für die es das Virus nie gab?

Viele dieser Fragen werden zu weiteren Diskussionen führen. Das gehört zu einer vielfältigen Szene dazu. Soweit diese Diskurse sachlich, reflektiert und mit Respekt geführt werden und dem Meinungsaustausch dienen, bleibt es bereichernd und spannend. Sobald es jedoch um Stimmungsmache geht, sehnt man den Tag herbei, an dem mit den Corona-Auflagen die Masken fallen und wir uns gelassen mit einem Glas Rotwein zuprosten, bevor wir uns zu unserem Lieblingstango auf der Tanzfläche wiederfinden und wortlos die Musik und das Tanzen genießen. Dann wird Corona überwunden sein, während der Tango weiter getanzt wird. Vielleicht schon im Sommer 2021…



*Gewohnheitsschleife: Mehr zum Thema im Artikel „Die Macht der Gewohnheit“ von Katrin Ewert bei planet-wissen.de


Hinweis:

Als Fortsetzung zu diesem Text bieten wir in unserer neuen Kategorie "Logbuch" unsere neue Reihe „Tanz in die Zukunft“ an.

In den nächsten Wochen und Monaten stellen wir hier bei uns im Blog Tango-Professionals und ihre Pläne für die Zukunft vor. Wie sind sie durch die Krise gekommen? Was planen sie für den Re-Start und die Zeit danach?


Du bist Inhaber*in einer Tangoschule, Tangolehrer*in, DJ, bietest Tangoreisen an oder betreibst einen Shop mit Tangomode und Tangoschuhe und möchtest hier über Deine Situation und Deine Pläne berichten? Dann nimm einfach Kontakt mit uns auf und schreibe eine E-Mail an info@tango-argentino-online.com.



Foto: (c) shutterstock.com / semaa / woman in red dress is preapering for tango dance

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