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Tango Kolumne
Streit auf dem Parkett

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 65 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tango-Kolumne Streit auf dem Parkett

Das Gewitter bahnt sich in finsteren Mienen und verkrampften Haltungen an. Alle aufmunternden Bemerkungen des Tangolehrers ("Ihr macht tolle Fortschritte!") verhindern nicht den plötzlichen Ausbruch des Streits auf dem Parkett. Mit einer abrupten Bewegung wendet Lars sich ab. Sein Gesicht gleicht dem roten Wut-Emoticon, während seine Frau überrascht auflacht: "Seht ihr? Er hat einfach keine Geduld!“

 

Was ist passiert?! Eineinhalb Stunden haben sich die beiden bemüht, die Vorgaben des Tangolehrers umzusetzen. Eineinhalb Stunden, in denen die Kluft zwischen der leichten Theorie und den sperrigen Körpern immer quälender wird. Letztes Mal schien alles so einfach zu sein und jetzt das. Wir lernen das nie, denken beide frustriert und spüren das pochende Gefühl zu versagen. Die Partnerin als hautnahe Zeugin der Blamage ist eine Zumutung zu viel. Wenn sie dann auch noch triumphiert: „Siehst du, ich habe dir gesagt, so ist es falsch!“, können schon mal die Sicherungen durchknallen. Je leistungsorientierter wir im Berufsalltag sind, desto erschütternder die Niederlage auf dem Parkett. Als Macher/innen ziehen wir durch, was wir uns vorgenommen haben. Und jetzt verweigern sich unsere eigenen Füße bei diesem Tanz, der so harmlos aussieht.

 

Verzweifelt strudelt Lars an den Rand der Tanzfläche. Seine Frau bleibt enttäuscht und traurig zurück. Der Tanzlehrer geht auf sie zu und erklärt ihr, heftige Emotionen seien beim Tango normal. Danach wendet er sich an Lars. "Bin ich wirklich so schlecht?", fragt dieser zerknirscht. "Dein Anspruch an dich selbst spielt dir einen Streich. Denke mal daran, wie kurz du erst tanzt. Die Momente, in denen wir denken, wir lernen das nie, gehören zum Tango dazu." Das Feedback des Tangolehrers baut ihn auf, er geht zurück zu seiner Frau. Das Gewitter verfliegt, das Parkett lädt zu neuen Bewegungen ein.

 

Streit beim Tangoüben entsteht aus frustriertem Ehrgeiz und wird von gegenseitigen Vorwürfen angeheizt. Wenn wir uns über unseren vermeintlich unfähigen Tanzpartner oder die „wie immer rechthaberische“ Tanzpartnerin aufregen, hat dies wenig mit Tango zu, sondern der Tango legt offen, was sonst so zwischen uns schwelt. Vielleicht sind wir auch im Alltag enttäuscht oder fühlen uns im Ungleichgewicht. In dieser Beziehungsdynamik kann der Tango eine Explosivkraft entfalten, die uns zwingt, einen Schritt zurückzutreten. Viele Paare steigen hier aus. Tatsächlich fängt der Tango hier erst wirklich an.

 

 

"Streit auf dem Parkett" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tango-argentino-online.com

 

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