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Tango Kolumne
Tango horizontal

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 22 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tanzen in der Berliner Tangoszene

Regeln sind zum Über-Bord-Werfen da. Vor allem die Warte-bis-dir-jemand- zublinzelt-Regel. Wenn die unvergleichliche Mona, Inhaberin und guter Geist des Tangoloft in der Weddinger Gerichtstraße, trällernd durch den Raum schwebt, fühle auch ich mich ermutigt mutig zu sein.

„Tanzen...?“ Ich nickte dem jungen Mann rechts von mir zu, der in Turnschuhen und Shirt wie von einem Startup-Unternehmen hereingeschneit wirkt. Seine Tanzstil ist weich und fließend, vielleicht ist er doch eher Physiotherapeut, Musiker oder Waldorflehrer. Geschmeidig wie eine Katze bewegt er uns durch den Raum, bis er plötzlich die Tanzhaltung wechselt, nun führe ich. „Hoppla!“ Ich bin überrascht. „Du hast so viele Impulse, wow!“, staunt er, „du kannst super gut führen.“ Unschlüssig, wie ich das finden soll, lasse ich mich probeweise darauf ein. Je länger wir hin- und herwechseln, desto sorgloser bewege ich mich, unbekümmert, ob es noch Tango ist, was ich gerade tanze. 

„Er ist bestimmt schwul“, meint meine Freundin, die mich begleitet hat, „oder mindestens ist er bi.“ „Was du wieder weißt“, lache ich, „und wie du das siehst.“

Und dann, wie immer, der Aufbruch. Plötzliche Panik, jemanden zu verlieren, der wichtig hätte werden können, ohne dass ich das feststellen konnte. 

„Wollen wir Nummern tauschen?“ „Aber ja, gern.“


Am nächsten Morgen habe ich eine SMS. Abends einen Anruf, zwei Tage später treffen wir uns. Zum Essen. Bei ihm. „Restaurants finde ich irgendwie unpersönlich, ich koche lieber für dich.“ Der potentielle Physiotherapeut entpuppt sich nun doch als IT-Entwickler, der davon träumt, mal eine Auszeit auf einer Alm zu nehmen, und weiß, was Frauen mögen: nicht nur auf dem Parkett.

Spätestens bei seinem Vorschlag, nach dem (durchaus leckeren) Gemüseauflauf von der Küche auf‘s Sofa zu wechseln, habe auch ich (Romantikerin vom Dorfe) erfasst, dass er nicht abgeneigt ist, unseren Tango - nun ja - horizontal fortzusetzen. Mag sein, ich habe an dieser Stelle einen Fehler gemacht. Tatsache ist, dass beim nächsten Mal, als wir uns bei einer Milonga treffen, von der weichen Tango-Magie nicht mehr viel übrig ist. Vermutlich bin ich plötzlich zu wenig geneigt, mich auf seinen (wie ich nun finde) denkbar undeutlichen Führungsstil einzulassen, auf jeden Fall kommen wir so wenig miteinander klar, dass ich es kaum noch unhöflich finde, als er mich auf der Tanzfläche stehen lässt, um mit anderen Frauen den abrupten Führungswechsel zu proben. 

 

 

"Tango horizontal" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2016
Foto: tangokultur.info

 

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