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Kolumne
Tango wie beim ersten Mal

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: TEIL 1 DER REIHE "IN LOVE WITH TANGO" VON LEA MARTIN

Kolumne Tango wie beim ersten Mal von Lea Martin

Tango ist unsterblich, Beziehungen sind es nicht. Wem mit dem Ende einer Liebe auch der (oder die) Tango-Tanzpartner(in) geht, hilft es, sich an das Davor erinnern. Womit hat Tango angefangen, für mich, ganz allein? Wenn ich die Tango-Reset-Taste drücke, hole ich mir etwas zu trinken und setze mich still an den Rand der Tanzfläche, wie beim ersten Mal, als ich noch staunende Zuschauerin war.

Für mich hat Tango damit angefangen, dass ich Paare tanzen sah. Ich war hingerissen von der Anmut der Bewegungen, der Schönheit der Kleider, der Sinnlichkeit der Umarmung. Das Leuchten, das von den Tanzenden ausging, erinnerte mich an die Gemälde von van Gogh. Wenn ich im Reset-Modus bin, bleiben meine Tanzschuhe unausgepackt. Ich tanze nicht Tango, ich sehe ihn: in den glücklichen Gesichter. Den leuchtenden Augen. Den schönen Frauen, die die Männer wahnsinnig machen mit ihrem übermütigen Körpereinsatz. Eine von ihnen, die in ihren roten Schnürstiefelchen, mit Pagenkopf und Kirschenaugen aussieht wie einem 50er Jahre Mode-Magazin entstiegen wackelt so provozierend mit allem, was sie hat, dass nicht einfach sein dürfte, sie über die Tanzfläche zu führen und dabei nur an Tango zu denken. Die Männer reißen sich darum, mit ihr zu tanzen, und sind von ihrem Hüpfen so fasziniert, dass ihnen völlig egal ist, ob es tango-like ist. Und dann kommt einer, der alles verändert. Das Lachen gleitet von ihrem Gesicht und weicht einer überraschten Innerlichkeit, die ihren aufgeregten Körper dazu bringt, sich zu entspannen. Sie hört auf zu zappeln, schließt die Augen und lässt sich ein auf einen Tango, der sie aufleuchten lässt — für eine nicht enden wollende atemberaubende Tanda. Als der letzte Ton verklingt, liegt ihr Kopf noch einen Moment am Kinn des Führenden, dann schlägt sie die Augen auf, lächelnd, als habe sie etwas Schönes geträumt. Der Fremde verabschiedet sich mit einem Kopfnicken. Sie schaut sich um, als suche sie ihn, jemand lacht sie an, sie legt ihre Hand in seine und fällt in ihre alte Rolle, zappelt von Neuem, als wäre nichts passiert.

Den magischen Moment hat ihr einer der langjährigen Tänzer beschert, die ich als Anfängerin bewundert habe. Wie sehr habe ich mir damals gewünscht, dass sie mich sehen. Wie oft haben sie mir vorgehalten, was ich alles falsch mache. Manche haben ihren Glanz für mich inzwischen verloren, als habe jemand den Stecker aus ihnen gezogen. Andere faszinieren mich bis heute. Wenn ich am Rand der Tanzfläche sitze, kommt der Tango zu mir zurück. Ich fange an, mit den Füßen zu wippen, wie beim ersten Mal, als die Musik aus Buenos Aires mich eingefangen hat und ich den Tango in mir gespürt habe, weit vor jedem Schritt.

 

„Tango wie beim ersten Mal“ aus "In Love With Tango"

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2020
Foto: Aus dem Archiv von tango-argentino-online.com

 

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